Die Eindeutigkeit und Parteinahme von 1997 fehlt

Die Ökumenische Sozialinitiative der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland hat eine breite Diskussion angestoßen. Die zentralen Etappen des Diskussionsprozesses, vom Kongress "Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft" bis zu den Stellungnahmen, Gastbeiträgen und Kommentaren hier auf dieser Webseite, sind im Dokumentationsband "Im Dienst an einer gerechten Gesellschaft" zusammengefasst, den Sie hier als PDF herunterladen können

Der Ausschuss für Gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche von Westfalen begrüßt, dass der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz sich in ihrer Initiative für eine erneuerte Wirtschafts- und Sozialordnung aussprechen. „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ wie auch die Erneuerung unserer Wirtschafts- und Sozialordnung brauchen wir dringend. Gut und richtig ist, dass das Wort von EKD und DBK an das gemeinsame Sozialwort von 1997 „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ anknüpft und seine Grundtendenzen aufnimmt. Die Deutlichkeit des damaligen Wortes allerdings erreicht die Initiative von 2014 nicht.

Die Kernsätze der Sozialinitiative sind nicht wirklich umstritten. In ihrem Papier „Die Soziale Marktwirtschaft ethisch weiterdenken“ aus dem Jahr 2009 hat die Evangelische Kirche von Westfalen bereits deutlich auf die Notwendigkeit hingewiesen, die Marktwirtschaft gesellschaftlich und kulturell einzubetten; Wettbewerb ökologisch und sozial auszurichten; den Primat der Politik global zu stärken. Die Evangelische Kirche von Westfalen plädiert hier für eine gute Ordnungspolitik als beste Sozialpolitik. Sie fordert, ethische Maßstäbe in die ökonomische Logik zu integrieren. Sie fordert die Abstimmung staatlichen Handelns mit staatenübergreifenden Regelungssystemen und supranationalen Governance-Strukturen.

Wie die Sozialinitiative des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz geht das Papier der Evangelische Kirche von Westfalen davon aus: Verantwortung für Schöpfung und Menschengeschwister ist uns aufgegeben; das Streben nach Gerechtigkeit hat eine Verheißung; Sorge und Fürsorge für die Armen erschöpfen sich nicht in Werken der Barmherzigkeit.

Die Eindeutigkeit und Parteinahme von 1997 fehlt

Die Sozialinitiative „Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft“ beschreibt die aktuellen Entwicklungen, die – anders als 1997 erhofft – gerade nicht zu einer Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit geführt haben. Vielmehr gefährdet die real existierende Marktwirtschaft über die Entfesselung der Finanzmärkte, den Klimawandel, die ungleiche und ungerechte Vermögens- und Einkommensverteilung sowie die Krise der europäischen Integration… ein menschengerechtes Miteinander.

Die Initiative fordert – ähnlich wie auch die Evangelische Kirche von Westfalen 2009 – einen ordnungspolitischen Rahmen, in dem die Lebensmöglichkeiten aller Menschen gefördert werden. Staatliche Interventionen sollen den Markt zügeln, die soziale Marktwirtschaft soll ihre soziale Komponente wieder erlangen und um die ökologische ergänzt werden. Das Prinzip der Haftung soll verhindern, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Sie stellt fest, dass individuelle Schuldzuweisungen im Blick auf die strukturellen Ursachen der bedrückenden Entwicklungen wenig hilfreich sind und fordert, dass handlungsfähige Institutionen Recht auch zur Wirkung bringen können. Das Papier drängt darauf, die öffentlichen Haushalte so zu konsolidieren, dass die Handlungsfähigkeit von Bund, Ländern und Kommunen in Deutschland und die der Gesellschaften anderer europäischer Länder wieder hergestellt werden.

Diese allgemeinen Aussagen sind auf der Grundlage christlicher Ethik weitgehend konsensual. Die Eindeutigkeit und Parteinahme von 1997 allerdings fehlt.

Zwar erinnert die Initiative an die „Option für die Armen“ und beschreibt die wachsende Ungleichheit – sie problematisiert aber nicht ausdrücklich die Höhe des privaten Vermögens.

Zwar will sie mehr Aufmerksamkeit für soziale Beziehungen, die Förderung von Gemeinschaft und eine Beziehung zur Schöpfung, die von Achtung geprägt ist – sie versäumt aber, die biblischen Weisungen zum Rhythmus von Arbeit und Ruhe, z.B. das Sabbatgebot, zu benennen.

Zwar erklärt sie soziale und ökologische Standards für die Finanzmärkte für notwendig – nicht aber für die Gesamtwirtschaft und den Arbeitsmarkt. Zwar sollen Entwicklungspfade gefunden werden, die das Wirtschaftswachstum von weiteren Steigerungen des Ressourcen- und Umweltverbrauchs abkoppeln – die Themen „Suffizienz“ und „Genüge“ werden aber nicht entfaltet.

Zwar spricht sie von einer gerechten Steuerpolitik und von der steuerlichen Belastung von Gewinnen, auch von Verteilungsgerechtigkeit – bleibt aber dann vage und nennt weder Erbschafts- und Vermögenssteuer noch Finanztransaktionssteuer als Möglichkeiten, eine solche Politik umzusetzen.

Zwar problematisiert sie die Finanzierung der gesetzlichen Rente – macht aber keinerlei Vorschläge zu einem alternativen Umgang mit der demographischen Entwicklung.

Zwar weist sie auf die Bedeutung von (lebenslangem) Lernen für die Lebensgestaltung hin und versteht Bildungspolitik als (vorbeugende) Sozialpolitik - konkretisiert aber nur in Stichworten (Bildungsmaßnahmen müssen öffentlich gefördert werden; Verknüpfung zwischen Bildungseinrichtungen und Elternhaus; Investition in frühkindliche Bildung), auf welche Weise diese sozialpolitische Aufgabe heute (!) umgesetzt werden kann. Sie droht Bildung auf ihre Dienlichkeit für den Arbeitsmarkt zu verengen.

Zwar gesteht sie zu, dass die Sozialreformen der vergangenen Jahre einen zu starken Schwerpunkt beim Fordern und einen zu schwachen beim Fördern gesetzt haben – beschreibt aber Alternativen nur unzureichend.

Zwar kritisiert sie den „Missbrauch“ von geringfügiger Beschäftigung, Leiharbeit oder Werkverträgen – es fehlen aber klare Perspektiven, wie dieser Missbrauch zu verhindern ist.

Zwar benennt sie die Tatsache, dass auch bei Vollzeittätigkeit der Lohn für den Lebensunterhalt nicht immer ausreicht - skandalisiert diese aber nicht wirklich.

Die Option der Kirchen für die Armen ernst nehmen

Als beim ökumenischen Kirchentag in München im Jahr 2010 endlich der Wunsch nach einem neuen Sozialwort der Kirchen aufgenommen wurde, hofften viele, dass EKD und DBK in Weiterführung ihres Sozialwortes von 1997 „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“ die Option für die Armen, den Ruf nach Gerechtigkeit sowie die Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung unterstreichen würden. Wer das Sozialwort aus den 90er Jahren in seiner sozialen und parteilichen Eindeutigkeit schätzt, ist von der Sozialinitiative des Jahres 2014 enttäuscht.

Dass ein Text vorliegt, gibt Anlass, das Gespräch intensiv weiter zu führen und nun konkrete Schritte zu entwickeln. Es wird gut sein, sich auf manche Einzelaussagen des Textes zu berufen, wenn es darum geht, die Option der Kirchen für die Armen ernst zu nehmen oder an der Transformation der Gesellschaft in eine zukunftsfähige, eine sozial und ökologisch gerechte Gesellschaft mitzuwirken:

  • „Die von guten Vernunftgründen gestützte biblische Option für die Armen, die wir hier wie im Gemeinsamen Wort 1997 ausdrücklich unterstreichen, ist eine Option für die ganze Gesellschaft. In dieser Option liegt der Keim zur Heilung.“
  • „Angesichts gewachsener sozialer Ungleichheit darf … nicht übersehen werden, dass gerechte Teilhabe auch eine Frage von Einkommen und Vermögen ist. Beteiligungs- und Verteilungsgerechtigkeit gehören zusammen.“
  • „Boni ohne Mali darf es nicht mehr geben, weder für Manager noch für Investoren.“
  • „Die mit einer nachhaltigen Haushaltskonsolidierung verbundenen Belastungen müssen … gerecht verteilt werden.“ „Insgesamt ist ein Schuldenabbau, der vor allem auf Kosten der sozial Schwachen und auf Kosten notwendiger Zukunftsinvestitionen geht, aus ethischer Sicht nicht hinnehmbar.“
  • „Umweltschutz auf der einen und Armutsbekämpfung sowie soziale Gerechtigkeit auf der anderen Seite bilden die Leitplanken für eine nachhaltige Wirtschaft.“
  • „Soziale Hilfen sind … konsequent an den Prinzipien der Solidarität und der Subsidiarität auszurichten.“
  • „Wo Ökonomie und Menschlichkeit in Widerspruch zueinander geraten, stimmt etwas an der ökonomischen Ordnung nicht mehr.“

In der Tat stimmt an der ökonomischen Ordnung etwas nicht mehr und sie bedarf dringend der Erneuerung. Die Initiative von EKD und DBK verstehen wir als Anstoß zur intensiven Auseinandersetzung, als Ermutigung zur Einmischung in wirtschaftspolitische Entscheidungen, als Einladung zur Mitwirkung an gesellschaftlichen Prozessen in Kommune, Land und Bund und in der einen Welt. Wir nehmen sie auch als Aufforderung, das „unternehmerische Handeln“ der Kirchen selbst kritisch zu reflektieren und neu zu gestalten.

In einem breiten Beteiligungsprozess wurde 1997 das gemeinsame Sozialwort erarbeitet. Die Initiative von 2014 will Auftakt zu einem breiten Beteiligungsprozess sein. Auf dieser Internetseite hat dieser Beteiligungsprozess begonnen. Es wird alles daran liegen, auf welche Weise EKD und DBK auch die kritischen Anmerkungen rezipieren, sich kritisch in den Diskurs einbringen und konkrete Maßnahmen zur Entwicklung einer gerechten Gesellschaft fordern und sich an deren Umsetzung beteiligen.