Einspruch gegen die Sozialinitiative der Kirchen

Die Ökumenische Sozialinitiative der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland hat eine breite Diskussion angestoßen. Die zentralen Etappen des Diskussionsprozesses, vom Kongress "Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft" bis zu den Stellungnahmen, Gastbeiträgen und Kommentaren hier auf dieser Webseite, sind im Dokumentationsband "Im Dienst an einer gerechten Gesellschaft" zusammengefasst, den Sie hier als PDF herunterladen können

Elke Neukirch

Elke Neukirch ist MItglied des Publik-Forum Leserkeises in Berlin, der sich eingehend mit der Sozialinitiative befasst und eine gemeinsame Erklärung sowie individuelle Stellungnahmen zur Sozialinitiative der Kirchen verfasst hat.

Publik-Forum Leserkreis Berlin

Der Publik-Forum-Leserkreis Berlin hat sich eingehend mit der Sozialinitiative befasst und eine gemeinsame Erklärung sowie individuelle Stellungnahmen verfasst.

Zunächst einmal ist zu begrüßen, dass die beiden Kirchen in Deutschland bereits zum zweiten Mal ihre Trennung überwinden, indem sie sich aufmachen, gemeinsam Stellung zu den gesellschaftlichen Problemen der Gegenwart  zu beziehen.

Das Sozialwort ist umfangreich und berücksichtigt in den Überschriften viele Bereiche. Dennoch stellt sich beim Lesen ein flaues Gefühl ein. Hier werden zum Teil offene Türen eingerannt und zum anderen mainstream -Positionen eingenommen. Es liest sich zum Teil als Dokument zur großen Koalition, das den Leser ratlos lässt, wer denn nun was ändern muss, um die Finanzkrise, die Krise am Arbeitsmarkt, die Flüchtlingsfrage und andere große Probleme  in den Griff zu bekommen.

Die Geschichte der Bankenkrise ist auch eine Geschichte des Versagens der Staaten. Das Sozialwort sagt: Der Staat müsse wieder mehr Einfluss nehmen auf das Verhalten der Banken. Der normale Bürger hat jedoch den Eindruck, dass die Banken und Wirtschaftsunternehmen mit ihren Lobbyisten die Regierung  fest im Griff haben. Das Sozialwort behauptet, der Staat habe es geschafft, die bedrohliche Krise von 2008 nachhaltig zu handhaben.

Fast unbestritten ist aber in der Öffentlichkeit, dass sich am Verhalten der Finanzdienstleister kaum etwas geändert hat. Die im Sozialwort dankenswerterweise aufgegriffene Haltung, der Verursacher eines Schadens müsse  im Crash-Fall haften, wird nicht angewendet. Haften tut bis heute der Staat, also der Steuerzahler. Der Bankensektor schottet sich erfolgreich gegen die Bürgergesellschaft ab. Z.B. werden Zinssenkungen kaum an den Normalbürger weitergegeben. Man schaue sich nur mal die Zinsen für Dispokredite an, die in der Regel von den weniger Vermögenden in Anspruch genommen werden.

Die freie Marktwirtschaft wird als alternativlos dargestellt

Mit einem reinen Appell an eine Stärkung des Staates, wie er im Sozialwort steht, ist es also nicht getan. Das "Wie" wird aber in dem Papier nicht berührt. Gibt der Staat - vielmehr die Politik - den Banken, den  Versicherungskonzernen, den Wirtschaftsunternehmen nicht viele Freiheiten und öffnet damit Spekulation und riskanten Operationen Tür und Tor? Ist die Furcht, sich hier mit den Mächtigen anzulegen und den Job zu riskieren, überhaupt beherrschbar, wenn es offenbar nur darum geht, vier Jahre im Amt zu bleiben?

Stattdessen wird alternativlos die "freie Marktwirtschaft"‘ als das einzige Gesellschaftsmodell angepriesen. Es beinhaltet eine ungebrochene Leistungsideologie und ein fortdauerndes Wachstumsversprechen. Papst Franziskus hat solche Ökonomie in seinem Lehrschreiben "Evangelii Gaudium" sehr treffend als eine "Wirtschaft ohne Gesicht und ohne ein wirklich menschliches Ziel" beschrieben, eine "Wirtschaft, die tötet". Und ist es nicht in seiner faktischen Entwicklung ein Wirtschaftssystem, das die Grundlagen des Lebens aufzuzehren droht?  Entspricht das der christlichen Lehre? Wäre es nicht möglich, eine ökologische, dem Erdball und den Menschen verpflichtete Ökonomie zu definieren und zu fordern?

Es wird unterstellt, die 'Soziale Marktwirtschaft' verbinde "die Freiheit des Marktes mit sozialem Ausgleich. Sie (sei) quasi die 'natürliche' Wirtschaft. Denn ihr gelinge es am besten, die menschlichen Triebe und Leidenschaften wie Leistungswillen und Konkurrenzverhalten in den Dienst der ökonomischen Effizienz und des Gemeinwohls zu stellen und dabei noch Solidarität zu organisieren. Nur ist das leider pure Ideologie - die falsche Wahrnehmung bloßer Erscheinungen des kapitalistischen Wesens. Denn das mörderische und unmenschliche Wesen des Kapitalismus ist es gerade, Kapital als Selbstzweck zu setzen: einen irrationalen, selbstbezüglichen und völlig a-sozialen Prozess in Gang zu setzen und zu erhalten, in dem aus Geld mehr Geld – eben Kapital – gemacht werden soll - und das auf immer und ewig und auf immer höherer Stufenleiter. Die Befriedigung von menschlichen Bedürfnissen durch Warenproduktion mittels Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und natürlicher Ressourcen ist dabei nur Mittel zum irrationalen Selbstzweck. Ein "Selbstzweck" kann aber schon dem Begriff nach nicht 'dienen'."

Dr. Günther Salz, Mitglied im Diözesanausschuss der KAB in der Diözese Trier; Kritik der Ideologie des Gemeinsamen Sozialwortes

Wenn gefordert wird, dass mehr Menschen Arbeit und gerechten Lohn erhalten, so kann das ohne massive Eingriffe des Staates (etwa über eine gerechtere Besteuerung oder über neue vom Staat geförderte Beschäftigungssektoren ) nicht funktionieren. Deshalb sind auch die Auslassungen des Sozialwortes zur Verschuldung der Staaten ärgerlich. Ein Staat mit hoher Arbeitslosigkeit, vielen prekären Beschäftigten  erwirtschaftet keine hinreichenden Steuern, vor allem dann nicht, wenn er die Reicheren auch noch entlastet und falsche Prioritäten setzt. Das Fehlen von Aussagen zum Wirtschaftssektor Rüstung ist ebenso schmerzlich, der sich an Konflikten und Kriegen eine goldene Nase verdient und die Bundesrepublik Deutschland zum drittgrößten Rüstungsexporteur der Welt macht. Auch hier werden Steuermittel eingesetzt, die an anderer Stelle schmerzlich fehlen. Hingegen wird im Bildungssystem gegenwärtig so gespart, dass keine Einsparungen, sondern eine Verschuldung in die Zukunft die Folge sind.

Die Kirchen dagegen sollten den Menschen einen Ausweg, eine neue Richtung aufzeigen, und sei es auch eine Utopie. Der Jesuitenpater Friedhelm Hengsbach kritisiert am Sozialwort: "Erwerbsarbeit  steht im Zentrum, das Geschlechterverhältnis wird überhaupt nicht  diskutiert, die starke Akzentuierung auf Industriearbeit wird nicht in Frage gestellt im Hinblick auf die sozialen Dienste, die im Gesundheitsbereich, Bildungsbereich und eben im Pflegebereich dringend gefördert werden müssten. Die öffentliche Verschuldung wird natürlich thematisiert, aber dass dieser öffentlichen Verschuldung eine ungeheure private Vermögensanhäufung gegenübersteht, ist gar kein Thema. Und wie man an dieses Vermögen herankommt, an eine Umverteilung von oben nach unten und nicht von unten nach oben, wie es bis jetzt der Fall war, ist eben kein Thema."

Eine  Rückbesinnen auf eine 'Soziale Marktwirtschaft' ist da wenig hilfreich. Es bedarf eines radikalen Gesellschaftswandels vom Haben hin zum Sein. Das mag eine Vision sein, aber wer, wenn nicht die Kirchen, müssten eine solche formulieren? Dazu müssten sie in den Entwurf die Lebenserfahrungen,  Argumente und Vorschläge der Basis mit einbeziehen, um die  nötige ‚Erdung‘ zu bekommen.

Kommentare

Eigentlich möchte ich mich dem im Prinzip anschließen. Allerdings wäre noch einiges anzumerken. Aus meiner Sicht mischt sich der Staat bzw. die Regierung schon in zu viele Bereiche ein, so dass es kaum noch überschaubar ist.
Ich plädiere daher für ein entweder - oder. Entweder es wird seitens der Politik mehr in Bildung und Innere Sicherheit investiert, was dann wiederum bedeuten würde, dass man die eingenommenen Steuern nur noch zweckgebunden verwendet und nicht zum Stopfen von Finanzlöchern aller möglichen Sektoren. Allerdings kann dies evtl. auch zu moderaten Steuererhöhungen führen, wenngleich ich der Meinung bin, dass die Steuerbelastung sehr ungerecht verteilt ist. Hier sollte es zu allererst wichtige und tiefgreifende Korrekturen geben. Die vor Jahren eingeführten Steuergeschenke sollten schleunigst abgeschafft werden. Außerdem sollte die unselige Subvention abgeschafft werden. Liest man die Berichte über die Entwicklung subventionierte Sparten, hat man den Eindruck, hier werden Steuergelder zum Fenster hinausgeworfen, denn eine Prüfung hinsichtlich der Notwendigkeit würde sehr schnell erkennen lassen, dass es hier in den meisten Fällen geradezu zum Missbrauch verführt. Aber die Lobby ist mächtiger als der in der Politik vertretene gesunde Menschenverstand.
Das war das Entweder - wenn dem auch noch einiges hinzuzufügen wäre. Nun zum Oder: Nachdem ich mich mit der Idee eines Grundeinkommens für jede Person befasst habe, wäre ich sehr dafür, wobei sich dann der Staat aus allen Bereichen, die er sich inzwischen "unter den Nagel gerissen" hat, zurückziehen müsste. Das betrifft besonders die Familiepolitik. Hier würden Gelder frei, die unnötig für den Ausbau von Kitas für Säuglinge und Kleinkinder verpulvert werden, nur um der deutschen Wirtschaft Arbeitskräfte zu erhalten. (alle anderen Gründe sind vorgeschoben und Augenwischerei) Bereits heute gehen in den skandinavischen Ländern und sogar in Frankreich Erzieher/Innen und Psychotherapeuten sowie Kinderärzte an die Öffentlichkeit, um darauf aufmerksam zu machen, wie schädlich ein zu frühes "Abliefern" der Kleinsten in solchen Kitas für die spätere Entwicklung und für die Bindungsfähigkeit der Menschen ist. Nur wir Deutschen hinken mal wieder hinterher und verschließen in unserem Leistungswahn die Augen vor der Realität. Im Falle des bedinungslosen Grundeinkommens wäre es auch Alleinerziehenden möglich, zu Hause zu bleiben. Aber nein, auch hier hat die Lobby die Politik fest im Griff.
Alles in allem hat die Politik auf ganzer Linie und schon seit vielen Jahren versagt. Nicht nur dass sie den Banken den Weg geebnet hat für immer riskantere Spekulationen, deren katastrophale Folgen nicht nur absehbar, sondern auch von vielen Fachleuten früh vorausgesagt wurden, die Politik geht sogar so weit, für diese Folgen selbst einzustehen und die Kosten zu tragen, die sie dann natürlich dem Bürger aufhalst. Aber auch damit nicht genug, man knickt vor der Lobby so stark ein, dass man noch nicht einmal in der Lage ist, für die Zukunft diese Misere zu verhindern, was durch entsprechende Gesetze ganz einfach wäre. Lieber nimmt man in Kauf, dass Spareinlagen und dergl. an Wert verlieren, weil das Heil seitens der Banken in niedrigen Zinsen gesucht wird.
Bei all dem schauen die Kirchen zu. Es werden zwar immer wieder leere Worthülsen in die Welt geschossen, aber konkret möchte man lieber nicht werden.
Mir stinkt das schon lange, dass Kirche (egal welcher Couleur) sich so zurückhält. Sie muss sich daher nicht wundern, wenn selbst die Benachteiligten dieser Gesellschaft sich auch aus diesen Räumen verabschieden, denn salbungsvolles Predigen hat noch keinen satt gemacht. Es stößt sogar auf beißenden Spott, wenn dann ab und zu ein Finanzskandal ein Bistum erschüttert. Überall geschehen Fehler - auch schwerwiegende - deshalb darf sich gerade Kirche nicht leisetreterisch verhalten, sondern soll sowohl für Ordnung und Sauberkeit in den eigenen Reihen sorgen, aber darüber nicht in ihrer Sattheit verharren, sondern getreu ihrem Auftrag für die Armen und an den Rand Gedrängten in unserer Gesellschaft nachdrücklich und nötigenfalls lauthals eintreten. So würde sie an Glaubwürdigkeit wieder gewinnen.