Europas soziale Konturen schärfen (Tagespost-Kolumne Teil 10)

Die Ökumenische Sozialinitiative der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland hat eine breite Diskussion angestoßen. Die zentralen Etappen des Diskussionsprozesses, vom Kongress "Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft" bis zu den Stellungnahmen, Gastbeiträgen und Kommentaren hier auf dieser Webseite, sind im Dokumentationsband "Im Dienst an einer gerechten Gesellschaft" zusammengefasst, den Sie hier als PDF herunterladen können

Kathrin Hatzinger

Oberkirchenrätin Katrin Hatzinger leitet die Dienststelle Brüssel der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Erst in der letzten These der ökumenischen Sozialinitiative steht explizit die europäische Dimension der Wirtschafts- und Sozialpolitik im Mittelpunkt. Die europäische Dimension muss aber auch bei den voranstehenden neun Thesen immer mitgedacht werden, denn zur Gestaltung einer gerechten Wirtschafts- und Sozialordnung ist Europa unabdingbar. Dass der europäische Politikansatz in der Praxis weiterhin nicht selbstverständlich ist, verdeutlichen folgende Zahlen: Derzeit sind 24 Millionen EU-Bürgerinnen und Bürger ohne Arbeit, darunter 5,7 Millionen junge Menschen. Rund 123 Millionen Menschen sind von relativer Armut (materielle Deprivation) bedroht. Die Staatsschulden-, Wirtschafts- und Finanzkrise ist noch nicht überwunden.

Auch vom Ziel der Europa-2020-Strategie der Europäischen Union (EU) aus dem Jahr 2010, „intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ zu schaffen, ist man zur Halbzeitbilanz noch weit entfernt. Aber nicht nur die Armut in der EU hat zugenommen, sondern auch das Wohlstandsgefälle zwischen den Bürgerinnen und Bürgern in den einzelnen Mitgliedstaaten. Der wachsenden ökonomischen Kluft folgt eine soziale nach. Europa droht eine soziale Spaltung.

Die Kompetenzen der Europäischen Union im Bereich der Sozialpolitik sind beschränkt, die Erwartungen der Menschen an die Politik in Europa sind es nicht. Die Bürgerinnen und Bürger wünschen sich mehr soziale Gerechtigkeit und Risiko-Absicherung. Die zunehmende soziale Ungleichheit und Ungewissheit schürt Ängste und Politikverdrossenheit und befördert denWunsch nach einfachen einfachen politischen Antworten. Der oft als undemokratisch und intransparent wahrgenommene Brüsseler Politikbetrieb eignet sich gut als Angriffsfläche und die Rückkehr in die überschaubaren Zeiten des Nationalstaates erscheint offenbar Manchem als reizvolle Alternative.

Der Beitrag von Kathrin Hatzinger ist in der "Tagespost" erschienen. Lesen Sie hier im PDF weiter.