Vernachlässigung der Exklusionsrisiken von Menschen mit Behinderung
Wir unterstützen grundsätzlich die in der Sozialinitiative formulierten Thesen bzw. Forderungen, unter anderem die Befähigung von Menschen, möglichst selbstverantwortlich leben zu können, die Teilhabe aller Menschen, die Herstellung von Chancengerechtigkeit, die Mitwirkungsmöglichkeiten von Leistungsempfängern, Bildung als Möglichkeit zur Persönlichkeitsentfaltung und als Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe.
Auch wenn der Inklusionsansatz – im Sinne einer "unmittelbaren Zugehörigkeit" und der Kritik an jeglicher Form der gesellschaftlichen Marginalisierung von Menschen – die Heterogenität und die Vielfalt betont und damit Geschlechterrollen, ethnische Herkünfte, Nationalitäten, soziale Milieus, etc. in den Fokus nimmt, vermissen wir deutlich die Auseinandersetzung mit den Lebenslagen und den Exklusionsrisiken von Menschen mit Behinderung.
An Hand der in These 7 vorgelegten Vision einer "inklusiven Gesellschaft", in der nicht eine Minderheit in eine Mehrheit "integriert" wird, sondern sich jedes einzelne Mitglied mit seiner Individualität und Unverwechselbarkeit gewinnbringend in die Gemeinschaft einbringt, wird die Blickwinkeländerung der Sozialinitiative im Sinne einer "Bürgergesellschaft" erkennbar, was sich elementar auf das System der Behindertenhilfe auswirkt.
Mehrheitlich ist der fachlichen Diskussion zu entnehmen, dass die Auseinandersetzung mit dem Inklusionsansatz weniger mit Fragen des sonderpädagogischen Förderbedarfs verbunden wird, sondern eher mit allgemeinen Teilhabe-Hemmnissen und -einschränkungen verschiedener Personengruppen. Geht man davon aus, dass gesellschaftliche Systeme in die Lage versetzt werden sollen, mit Vielfalt umzugehen, stellt sich unweigerlich die Frage, welche Voraussetzungen hierfür geschaffen werden müssen.
Inklusion ist mehr als nur Zusammenleben
Neben der in der Sozialinitiative genannten Chancengerechtigkeit und den Mitwirkungsmöglichkeiten von Leistungsempfängern müssen im Rahmen der Inklusionsdebatte auch die Umsetzung bestimmter Werte erörtert werden, zu denen Vertrauen, Rechte, Anerkennung von Vielfalt, Nachhaltigkeit, aber auch zwischenmenschliche Aktivitäten wie Mitgefühl, Ehrlichkeit und Mut zählen.
In der Fachdiskussion besteht Einigkeit darin, dass notwendige und hinreichende Voraussetzungen für eine inklusive Gesellschaft geschaffen werden müssen und dass diese nicht allein dadurch realisiert werden, dass unter anderem Menschen mit Behinderung im Gemeinwesen leben.
Damit hat das (sonderpädagogische) Inklusionsparadigma einen eher normativen Charakter. Die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, die 2008 in Kraft getreten ist, zielt dagegen auf den Garant einer Teilhabe an allen gesellschaftlichen Prozessen ab. Die Vertragsstaaten haben dieses Recht in den Alltag umzusetzen und damit die Rechte von Menschen mit Behinderung durchzusetzen.
Hierzu zählt auch, dass die Vertragsstaaten hinsichtlich der schulischen Bildung aufgefordert sind, dass Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam unterrichtet werden können. Auch die Auseinandersetzung mit diesem Thema der inklusiven Bildung vermissen wir in der Sozialinitiative und dem Abschnitt "Förderung durch Bildung".