Andrea Nahles

"Die Chancen sehen, die in jeder und jedem stecken"

Die Ökumenische Sozialinitiative der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland hat eine breite Diskussion angestoßen. Die zentralen Etappen des Diskussionsprozesses, vom Kongress "Gemeinsame Verantwortung für eine gerechte Gesellschaft" bis zu den Stellungnahmen, Gastbeiträgen und Kommentaren hier auf dieser Webseite, sind im Dokumentationsband "Im Dienst an einer gerechten Gesellschaft" zusammengefasst, den Sie hier als PDF herunterladen können

Andrea Nahles

Andrea Nahles, 1970 geboren, ist Mitglied des Deutschen Bundestages, Bundesministerin für Arbeit und Soziales und war zuvor von 2009 bis 2013 Generalsekretärin der SPD.

Ich freue mich, dass die beiden Kirchen im Wortsinn Initiative ergriffen haben und sich wieder mit starker Stimme in den gesellschaftspolitischen Diskurs einmischen.

„Sucht Gerechtigkeit, sucht Demut!“ (Zef. 2,3) Der Ruf zur Umkehr ist so alt wie die Bibel. In jeder Zeit ist es nötig, der Gesellschaft, den politisch Handelnden, den Mächtigen in der Wirtschaft den Spiegel vorzuhalten und zur Gerechtigkeit zu rufen.

In der Einleitung zu den zehn Thesen der Sozialinitiative wird das Doppelgebot der Liebe als Kern christlichen Denkens und Handelns bezeichnet. Gott zu lieben ist unmöglich, ohne auch den Nächsten zu lieben, Armut und Ungerechtigkeit zu bekämpfen und dafür einzutreten, dass alle Menschen in Würde leben können.

Das ist auch für mich als Arbeitsministerin und als engagierte Christin Antriebsfeder meines Handelns.

In Würde zu leben heißt, Zugang zu haben zu guter Bildung, zu einer Ausbildung und zu einer Arbeit, von der man leben kann und die wertgeschätzt wird. Diesen Zugang müssen wir - erst recht in einem wohlhabenden Land wie Deutschland -  allen Menschen geben. In jedem Menschen schlummern Talente, die geweckt und gefördert werden können und die nicht verkümmern dürfen. Ich unterstütze deshalb die Forderung der Sozialinitiative, dass wir auf die Chancen sehen, die in jeder und jedem stecken. Inklusion und Teilhabe müssen die ethischen Leitbilder unseres Handelns sein.

Es darf keine Rolle spielen, ob es um Menschen mit Behinderungen geht, um Kinder aus bildungsfernem Elternhaus oder aus Zuwandererfamilien, um Männer oder Frauen. Wir müssen uns auf die individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten jedes einzelnen Menschen konzentrieren, statt uns durch vermeintliche Schwächen den Blick zu verstellen. Dann kann eine Arbeits- und Lebenswelt Wirklichkeit werden, in der jede und jeder einen Platz findet, um in Würde leben und am gesellschaftlichen Miteinander teilhaben zu können. Mit guter Arbeit, anständigen Löhnen, sozialer Sicherheit und gerechter Teilhabe. Erst, wenn uns das gelingt, wird niemand mehr ausgegrenzt.

Dass niemand zurückbleibt, ist ein Kerngedanke der sozialen Marktwirtschaft. Und für uns Christinnen und Christen ist es Ausdruck der Nächstenliebe.